"Christus in uns - nur noch Vergangenheit oder auch ein Ziel heute ?

 

Von Günter Stock

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Wo stehen wir heute ?

Hat Christus in unserer heutigen Zeit noch eine Botschaft ? Ist  das heute nicht eine unzulässige Grenzüberschreitung, die Naturwissenschaft und Theologie zusammenrücken will ?

Erstaunlicherweise wäre zur Zeit Christi wohl kein Mensch auf eine solche Frage gekommen. Es war selbstverständlich, daß die höchste religiöse Erkenntnis auch die Fragen nach dem Kosmos, nach den göttlichen Gesetzen hinter allem Seienden, aufzudecken und zu beantworten hatte. Die priesterliche Einweihung in Ägypten und Griechenland bestand in nicht weniger als im Öffnen der Wahrnehmungskanäle des Schülers für die innere und die äußere Wahrheit, die eine Einzige ist. Der spätere Priester sollte damit zu eigener Erkenntnis fähig werden, um im lebendigen Dialog mit Gott (den Göttern) dessen Willen zu handeln. Erkenntnis, Bewusstwerdung und Glauben kamen aus derselben Wurzel. Das lebendige Wort in diesem Sinne ist keine intellektuelle Wiederholung eines von einer Autorität einmal festgelegten Dogmas, wie es uns heute oft scheint oder vorgeführt wird, es ist geistig- seelisch- körperlich erfahrbare Wahrheit, eben Erkenntnis im eigentlichen (auch gnostischen) Sinne. Insofern ist es heilsam für uns heute, die wir uns oft nicht mehr so stark dem christlichen Weg verbunden fühlen, an den Wurzeln und Grundüberzeugungen der römisch-katholischen und damit auch der evangelischen sowie der orthodoxen und der mystischen christlichen Strömungen unsere europäischen Wurzeln zu verdeutlichen.

Wer war Jesus ?                          

Um Jesus Christus als Lehrer ansatzweise zu verstehen, müssen wir mehr über seine Hintergründe kennen. Dabei können wir unterscheiden in
 

·  traditiertes, äußeres Wissen - kein Meister fällt vom Himmel, Jesus lernte und wurde in einer bestimmten Tradition oder in mehreren unterwiesen, davon müssen wir ausgehen; Wissen ist Grundlage jeden Verständnisses, kann dieses Verständnis aber nicht ersetzen

·  inneres Wissen (Erkenntnis) - die mystische Erkenntnis seiner Einheit mit Gott und Jesu erstaunliche Fähigkeiten zur Vollbringung von Wundern sind nur aus einer innersten Askese vorstellbar, aus einer inneren Welt also, die in den heiligen Texten an manchen Stellen aufleuchtet und die nicht so einfach nachvollziehbar ist  für die meisten Europäer heute.
 

Diese Unterscheidung kann uns heute auch helfen, uns zu orientieren im Gewühl von Pseudo-Wissen, von intellektuellen Behauptungen, von einerseits unverstandenen oder mystifizierten Grenz-Erfahrungen und andererseits unausgereiften, einseitig materialistischen Weltsichten unserer modernen Welt.


Die religiösen Traditionen um Jesus

Es ist zunächst aus historischer Sicht offenbar, daß Jesus, der Lehrer, der Rabbi, gelebt hat. Es ist bei genauerem Hinsehen aus unabhängigen Quellen eine so umfassende Beschreibung seines Lebens überliefert wie nur über wenige der in Geschichtsbüchern erwähnten Gestalten, seien es Kaiser, Heilige oder Machthaber jeder Schattierung.

Jesus aus Nazareth in Galiläa, als Sohn eines Zimmermannes und seiner allerdings  genauer beschriebenen Mutter Maria geboren, kam aus einer Gegend, die für Ihre spezielle kulturelle (galliläische) Kultur bekannt war. Es gab Kirchenväter, die behaupteten, daß in Galiläa gällisch (also keltisch) gesprochen worden sei. Wie dem auch sei, es gab auf jeden Fall mehrere wichtig Bezugspunkte, vor deren Hintergrund wir das Leben Jesu oder die uns überlieferten Bruchstücke davon sehen müssen:

Ägypten

Die Essener
 

 

Die jüdische Tradition
 

 

Die keltische Tradition
 

 

Die griechisch-römische Tradition
 


Es werden dem kleinen Jesus Reisen nach Ägypten (Bibel), nach Gallien (englische Tradition) und teilweise nach Indien (esoterische Auslegung) zugesprochen. Wie weit das alles geht, wissen wir nicht und müsste jeder für sich selber versuchen zu ergründen.
 

Aus all diesen Traditionen und aus der Einsamkeit eines anfangs sicherlich asketischen Lebens (z.B. seinem Leben in der Wüste ) gewann der Lehrer und Rabbi Jesus seine tiefen Gotteserfahrungen und seine ungebrochene innere Verbindung mit Gott.

Er ging einen Weg, der für ihn einerseits vorgezeichnet erschien, andererseits auch jederzeit von Versuchungen oder persönlichen freien Entscheidungen bestimmt war.

Die besten Hinweise auf diese innere Sicht finden wir im Thomasevangelium.

So sind seine Visionen seiner Lebensaufgabe, seines Lebens-Sinnes, sicherlich schon sehr früh da. Er hat einen Blick für die geistige Substanz von Menschen (man könnte wohl auch von geistigem Sehen sprechen), mit dem er seine Schüler auswählt aus Fischern und meist ungebildeten praktisch denkenden Leuten, aber wohl auch aus den Essenern (zumindest beim Apostel Johannes ist das so).

Jesus wählte also nicht aus der jüdischen Elite der Pharisäer oder Sadduzäer seine Schüler, sondern er wählt sozusagen ungeschliffene Diamanten aus, die er selber als geistig edel und tiefschürfend erkennt, und die er selber tagtäglich "zu Menschenfischern" ausbildet. Er beklagt sich dann auch oft genug, daß sie ihn nicht verstünden - wen wundert das.

Unter seinen Schülern sind auch mehrere Frauen, zu denen er eine sehr modernes, völlig unverkrampftes Verhältnis zu pflegen scheint. Auch da muß er öfters die sehr patriarchalischen Vorstellungen seiner männlichen Jünger, z.B. von Petrus, und seiner Kritiker zurechtrücken.

Diese Zusammensetzung seiner Gefolgschaft hat nicht nur einmal zu erheblichen Irritationen bei den Eliten der Juden Anlaß gegeben, die offensichtlich mit seiner Art der Meisterschaft nicht umzugehen wußten. Er versucht deshalb auch oftmals vergeblich, ihre Ohren, ihren Geist oder ihre Herzen zu öffnen für die geistige Essenz seiner Botschaft. "Mein Reich ist nicht von dieser Welt".

So geht er auch seinen Weg, und passt sich keiner Schablone an: Weder der des Aufrührers, in die ihn die Juden gerne stecken wollen und in der sie ihn auch gekreuzigt haben, noch der des weltlichen Messias, als des neuen jüdischen Königs aus dem Hause und Geschlechte Davids, in die ihn seine Anhänger gerne hineinstecken wollen und von dem sie politische Führung in dieser Krisenzeit der römischen Besetzung erwarten.

Die vielen Heilungen, Wunder und Lehrreden sprechen für sich, auch wenn wir heute mit derselben Skepsis wie die jüdischen Schriftgelehrten darauf reagieren und intellektuelle Konzepte und Theorien darum herum gestrickt haben im Laufe der Jahrhunderte - immer je nach Zeitgeschmack.

Die enorme Wucht und Direktheit seiner Lehre hängt eindeutig auch an diesen Umständen seines Lebens.
 

Christus in uns

"Mein Reich ist nicht von dieser Welt" - von welcher Welt dann ?

Die Wundertaten Christi und Zeichen Christi zeigen vielleicht wie bei indischen Yogis die Möglichkeiten einer geistigen Magie, des Verwandelns oder Veränderns auf einer niederen (materiellen oder psychischen) Ebene durch Anwendung von Kräften höherer (geistiger) Ebenen. Diese Möglichkeiten waren in der Einweihung der ägyptischen Priester wohl Teil der Ausbildung, auf die uns auch das "Kybalion" als Buch ägyptischer Magie hinweist.

Das Gehen auf dem Wasser, das Verwandeln von Brot, Wein und Fisch, das Stillen des Sturmes und schließlich die zahlreichen physischen und psychischen Heilungen bis hin zur Erweckung von Toten bezeugen das allzu deutlich.

Es sei erinnert  an das ägyptische Buch des "Kybalion" - "Das All ist Geist, das Universum ist geistig". Wenn überhaupt jemand diese Tatsache verstanden hat und gezeigt hat, dann Christus.
Für Christus war es eine Selbstverständlichkeit, daß die eigentliche Welt, sein Reich nämlich, kein nur materielles sondern ein geistiges Reich ist. Dies hat aber nichts mit Weltflucht zu tun, wie seine zahlreichen Gleichnisse ("Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" etc.) zeigen, sondern mit der Erkenntnis der inneren Struktur des Kosmos, wie ihn das Kybalion schon beschreibt (s.o.). Er predigt das Nahen des Reiches Gottes, das auch inwendig in uns ist. "Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können." (Mt. 10, 28).

In der Verklärung wird die geistige Verwandlung des Menschen Jesu , die auch physische Verwandlung zu sein scheint, offenbar "Und er wurde vor Ihnen verwandelt, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht" (Mt. 17, 2). Dies geschieht vor Petrus, Johannes und Jakobus.

Christus predigt vor allem die Liebe, eine seelische Qualität, die in eine völligen Anheimgabe an den göttlichen Willen und an das Leben mündet. Die beiden größten göttlichen Gebote sind für ihn "Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben mit Deinem ganzen Herzen, mit Deiner ganzen Seele und mit Deinem ganzen Denken" UND dazu "Du sollst Deinen nächsten lieben wie Dich selbst". (Mt.22, 34 ff).

Christus selber ist die Liebe - das sagen seitdem alle christlichen Kirchen, teilweise scheinbar ohne die Folgerungen daraus zu ziehen.

Aber Christus in uns ?

Da müssen wir schon selber etwas genauer hinsehen, um diesen Zusammenhang zu erkennen.

Die Wiederkunft Christi ist eine innerliche, sie ist in uns.

Im Gleichnis der zehn Jungfrauen wird diese Wiederkunft symbolisch, eben in Gleichnisform, dargelegt "Dann wird der Himmel zehn Jungfrauen gleich sein, die ihre Lampen nahmen, und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf aber waren töricht, fünf waren klug“. Die Törichten nahmen kein Öl mit sich. Die Klugen nahmen außer Ihren Lampen Öl in Gefäßen mit sich. Doch als der Bräutigam ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Mitten in der Nacht-..Geschrei. Siehe, der Bräutigam! Da erwachten alle. Die Törichten baten die Klugen um Öl, denn ihre Lampen verlöschten. Die Klugen antworten, daß es für keinen reichen würde und schickten sie zum Krämer, um Öl zu kaufen. Der Bräutigam kam und die , welche bereit waren, gingen ein zur Hochzeit. Später kamen die anderen.. wurden aber nicht mehr eingelassen … „Ich kenne Euch nicht" .(Mt. 25 ff). Die welche bereit sind zum richtigen Zeitpunkt, gehen ein in die Hochzeit, die in späteren Jahrhunderten als die mystische Hochzeit von den Mystikern angestrebt wurde.

Es ist also eine Bemühung von seiten des Mystikers nötig (das wird als Öl hier symbolisch dargestellt, also aus Früchten der Erfahrung gewonnen/destilliert) und ein Entgegenkommen von Seiten Christi, der eins ist mit Gott und dem heiligen Geist.

In den Sprüchen des Thomas Evangeliums wird der geistige Charakter seines Reiches nochmals deutlicher:" Jesus sprach: Dieser Himmel wird vergehen, und der, der darüber liegt, wird auch vergehen. Und die Toten leben nicht und die Lebenden werden nicht sterben. (Th. 11).

Wenn Ihr die Zwei zu Eins macht, wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere und wenn Ihr das Männliche und das Weibliche zu einem einzigen macht… werdet ihr in das Reich eingehen" (Th.22)

Jesus sprach: Wenn die Leute euch fragen: Woher seid Ihr gekommen ? So antwortete ihnen: Wir sind aus dem Lichte gekommen, da wo das Licht aus sich selber entstanden ist. Und wenn man Euch fragt: Wer seid ihr ? so antwortet: Wir sind seine Söhne und die Erwählten des lebendigen Vaters. (Th. 50)

Christus ist das innere Licht, das Licht in uns. Und er ist die reine Liebe.

Ganz wesentlich für den Christus in uns aber ist noch seine Funktion für uns: Er ist auch der neue Bund, die Verbindung zwischen Gott und Mensch.

"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen" (Joh. 13, 14,5 ff).

Christus ist zeitlos eins mit dem Vater und dem Geist. Johannes nennt diesen Bund auch zu Beginn seines Evangeliums „das Wort“, das Licht, das in der Finsternis scheint, auch wenn die es nicht erkennt.

Dieser neue Bund, ein geistiger Bund über den Vermittler Christus, dieser Bund ist Christus in uns. Ihn zu erkennen ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.
 

Und nochmals - wo stehen wir heute ?


 
"Nachdem sie Ihre Orientierung verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen" (nach George Bernhard Shaw)

Wir haben heute höchst-effektiv, global-vernetzt, internet-gestützt und marktwirtschaftlich-orientiert komplett unsere Orientierung verloren. Wir wissen weder, wofür die ganze Anstrengung, wofür die Plünderung des Planeten, wofür der Wettlauf im täglichen Hamsterkäfig, wofür.., noch haben wir eine realistische Vorstellung von dem uns umgebenden Kosmos, von seinen inneren Gesetzen, deren Spielball und Spieler wir sind.  Wir behaupten z.B., das Einbauen eines Genoms in einen Zellkern nach Art eines Automechanikers ("Mal sehen, ob es geht..") sei die Krone menschlicher Fähigkeiten und mache uns zu echten Schöpfern des Lebens ("Leben schöpfen und patentieren lassen").

In dieser Situation sind die Suche nach den menschlichen Wurzeln, die Erkenntnis der richtigen Zusammenhänge und die daraus resultierenden, weisen Handlungen die einzigen Ankerpunkte des Überlebens der Menschheit morgen.

Die Erkenntnis des "Christus in uns" ist damit eine Stufe der menschlichen Reife, die ein gesamtheitlich sinnvolles Handeln erst ermöglicht am Übergang zum global vernetzten und vollen Lebensraum morgen. Die Evolution hat ihr Gesetz-Versagen an der Aufgabe des gesamtheitlich sinnvollen Lebens auf diesem Planeten führt unweigerlich zu drastischen Konsequenzen für die Menschheit, die wir uns lieber nicht zu genau vorstellen wollen.