"Nachhaltige und sinnvolle Entwicklungsprojekte"

Dennis Meadows, der die 1972 erschienene Zukunftsstudie des Club of Rome zu den "Grenzen des Wachstums" mit verfaßte, überprüfte 1992 die seinerzeitigen Zukunftsprognosen. Er fand unsere Abkehr von einer ökologisch langfristig verträglichen (nachhaltigen) Wirtschafts- und Gesellschaftsform bestätigt. Mittels Strategie versuchen an Computersimulationsmodellen kam er zu dem Ergebnis, daß Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum auf unserem begrenzten
Planeten in 30-60 Jahren wahrscheinlich zu einem weltweiten ökonomischen und ökologischen Zusammenbruch führen werden.

Jedes Jahr verschwinden zur Zeit zehntausende Arten unwiederbringlich, insbesondere bei der Abholzug der Regenwälder. Gleichzeitig wird von der UN in einer "Erklärung von Rom" zum Abschluß der Konferenz zum Klimawandel (IPCC) der sichtbare menschliche Einfluß auf
die Klimaveränderungen festgestellt. Eine Erwärmung um 1 bis 3,5 Grad C und eine Erhöhung des Meeresspiegels um bis zu 95 cm seien zu erwarten.
Die Münchner Rückversicherung wies 1995 einen Anstieg der Schadensbilanz infolge Naturkatastrophen von 250 Mrd.DM ( + 300% gegenüber 1994) aus , vielleicht ein Teil der Rech-
nung, die auf uns zukommt.

Wir zerstören offensichtlich unsere Lebensgrundlagen.
Es werden deshalb vielerorts Möglichkeiten für die nachhaltige (sustainable) oder sinnvolle Art des wirtschaftlichen Umganges mit der Natur gesucht.
Im Februar 1996 fand in Zürich eine Tagung im Rahmen der "Global Alliance for Sustainability" statt, an der die ETH Zürich, das Massachusetts Institute of Technology und die Universität Tokio mitarbeiten. Es ging nicht mehr nur um nachhaltige Technologie, es ging auch um nachhaltiges menschliches Verhalten !.
Wir sind Produzenten und Nachfrager, die die natürlichen Ressourcen in einer hektischen Einbahnstraße in kurzlebige Produkte, Abgase und Müll verwandeln. Wir wissen das längst, und doch scheint der notwendige Wandel umso schwieriger, je mehr unsere Ideale, Gefühle und Wahrnehmungen in die notwendigen Veränderungen miteinbezogen werden müssen.
Um uns zu ändern wurden in Zürich auch Ansätze zu einer Verhaltenssteuerung diskutiert, da die Gesetze des freien Marktes dafür nicht ausreichen.

Wir als Verbraucherkönnen über die Subventionierung von Öko Produkten, über Steuern auf Abfallmengen und durch Aufklärung über Ökobilanzen und Herstellungsgeschichte zum Kauf langlebiger, recyclinggerechter , ökologisch verträglicher Produkte gebracht werden. Statt dem Eigentum würde vielleicht das Nutzungsrecht an solchen Produkten gehandelt werden.
Wir als Ingenieure können über Ethik-Codices, über ganzheitliche, fachübergreifende Ausbildung , über die Bewußtwerdung unserer Verantwortung als Schöpfer der technischen Welt von heute und
morgen mit sinnvollem , ökologischem Handeln in Produktion und Produktgestaltung die Anbieterseite verändern.

Eine rein gesellschaftliche äußere Korrektur ohne innere Veränderungen, also z.B. das Nachjustieren einiger fiskalischer Stellschrauben ohne Veränderung unserer menschlichen Rolle und Verantwortung im Ökosystem , reichen heute eindeutig nicht mehr aus,
wie auch Meadows feststellte. Zu sehr ist unser persönlicher Bewußtseinswandel nötig, der in einem geänderten Handeln münden muß.
Für uns als Ingenieure müßte demnach die Suche nach geeigneten technischen Entwicklungs- prozessen von sinnvollen und nachhaltigen neuen Produkten oder Produktionsverfahren im Zentrum des Interesses stehen. In der Literatur fehlen jedoch umfassende Definitionen für nachhaltige Produkte und Produktionsprozesse.
In dieser Zwickmühle müssen sich immer öfter die Attribute sinnvoll und nachhaltig bei Definitionsversuchen gegenseitig stützen und vertiefen .
Sinnvolles Handeln gilt grundsätzlich als richtungsweisend, zielführend und ganzheitlich verträglich unter Einbeziehung unseres zugrundeliegenden Wertesystems, was auch Meadows gefordert hatte. Der Wortstamm von Sinn ist "Gang, Reise, Weg" aber genauso "Gefühl, Wahrnehmung" . Sinn verbindet die innere Wahrnehmung mit dem einzuschlagenden Weg , Gefühl mit zu wählender Richtung. Die Wahrnehmung und Verfolgung des (roten) "Ariadnefa-
dens" im heutigen Informations - und Entscheidungs - Labyrinth ist eine mythologische Metapher für diese Sinnerkenntnis, die als Orientierungs- und Entscheidungshilfe dienen muß.
In jedem Fall ist der ganze Mensch in die Sinnfindung einbezogen, nicht nur der Techniker.
Der amerikanischer Astronaut Edgar Mitchell beschreibt seine Sinnerkenntnis :
"Als Techniker fuhren wir zum Mond, als von Zuneigung für alles Humane erfüllte Menschen kehrten wir zurück... Wo vorher intellektuelle Suche gewesen war, regte sich plötzlich ein tiefes Gefühl in mir, etwas sei ganz anders geworden. Dieses Gefühl ist aus dem Blick auf die Erde erwachsen..der .. Gewißheit vermittelt, daß im Strom von Energie, Zeit und Raum im Weltall etwas Sinnvolles liegt.."

Diese nichtrationale Sinnwahrnehmung führt mit großer Veränderungskraft zu am Gemeinwohl des Ökosystems orientierten Handlungen, ohne in Definitionen steckenzubleiben.
Sinnerkenntnis kann freiwillig durch eine Rückbesinnung auf verschüttete fundamentale Sinnfragen des "Woher, Wohin, Wozu" unseres Seins und Handelns oder durch den Druck der Umstände, z.B. massiver Umweltprobleme , ausgelöst werden.

Wir Ingenieure können über die Gestaltung von technischen Entwicklungsprojekten sinnvolle und nachhaltige Produktziele einbringen und sinnvolle Entwicklungen fördern. In meinem beruflichen Zuständigkeitsbereich sind nachhaltige Kundenprojektziele Energieeinsparung sowie CO2 - Verminderung mit den zugehörigen Betriebskosteneinsparungen. Unser Prinzip ist dabei die Verbindung von Ökologie und Ökonomie, die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden ist essentiell zur Durchsetzung der ökologischen Ziele.

Auf Basis der gemachten Erfahrungen möchte ich folgende Ansätze und Schlußfolgerungen für die sinnvolle und nachhaltige Projektarbeit vorschlagen.

Zunächst beginnt ein Entwicklungsprojekt stets mit einer Idee oder einer Vision. Die Rentabilität wird anhand wirtschaftlicher Kennzahlen geprüft. Das Projekt wird bewilligt und an das Pro-
jektteam übergeben. Schrittweise entstehen Lastenhefte, Pflichtenhefte, Lösungskonzepte, Pläne und materielle Ergebnisse. Die Idee oder Vision verkörpert sich, könnte man sagen.
Die Anfangsplanung muß fortlaufend überprüft und mit der Realität abgeglichen werden. Versuch und Irrtum als Evolutionsprinzipien kommen im Rahmen klarer Zielrichtungen zu ihrem Recht, z.B.
indem verschiedene Produktprototypen gebaut werden, die verglichen und verbessert werden.

Die Projektzwischenergebnisse werden auf Einhaltung anfangs festgelegter Qualitätsziele geprüft. Das Projektergebnis wird beim Kunden installiert, in Betrieb genommen und abgenommen.

Kosten und Qualität von Entwicklungsprojekten werden zum größten Teil in der Anfangsphase entschieden, da hier die generellen Ziele und Lösungskonzepte festgelegt werden. Zu Beginn gibt es eine große Entscheidungsspanne mit Konsequenzen, die erst viel später sichtbar werden. Daher sind verdeckte Anfangsfehler immer die teuersten und folgenreichsten, was Termin- und Kostenüber schreitungen z.B. im Softwarebereich zur Regel macht und immerhin noch jedes sechste Projekt lt. Literaturangaben scheitern läßt.

Betrachtet man aus Sicht nachhaltiger und sinnvoller Produkte den alles entscheidenden Projektbeginn, so fällt auf, daß oft subjektive Ziele der jeweiligen Führungskräfte die Ausformung der Produktziele bestimmen. Der wirtschaftliche Maßstab wird, so gut man kann, für diese Ziele eingespannt, "das Projekt muß sich rechnen".
Der wesentlichste Hebel für sinnvolle und nachhaltige Entwicklungen besteht demnach in der kreativen, teamorientierten, möglichst objektiven Findung von sinnvollen Produktzielen bzw.
Qualitätszielen. Hierzu fehlt zur Zeit neben der Motivation oft auch die Methodik. Es müssen kreativ und eher breit als tief die relevanten Einflüsse und Wechselwirkungen aufgeführt werden, um
darin den roten Faden für die sinnvolle Produktzielsetzung zu erkennen.

Betrachten wir den weiteren Projektverlauf, so hängen Erfolg oder Mißerfolg eines Entwicklungsprojektes von einer langen Kette von Gegenwartsentscheidungen ab, oder technisch formuliert: Die Qualität des Endproduktes oder Entwicklungsergebnisses ist nur so
gut, wie die Qualität des Entwicklungsprozesses war. Produktqualität ist die Folge von Projekt - oder Prozeßqualität. Diese Erkenntnis ist der Eckpfeiler moderner Qualitätsstrategien, auch
für Serienproduktionen. Sie wurden von den Japanern zum Erfolgsschlager umgesetzt, dessen Kopierung in unseren Produktionen unter den verschiedensten Schlagworten (z.B. Total Quality Ma-
nagement (TQM) oder Continuous Improvement Process (CIP)) noch im Gange ist.

Auch zur Steigerung unserer europäischen  Wettbewerbsfähigkeit wäre das strategische Ziel die eigenständige Verbesserung dieser grundlegenden Qualitätsstrategie in Richtung auf sinnvolle und nachhaltige Produkte . Die Umsetzung der Erkenntnis , daß es keine echte Qualität gibt ohne sinnvolle und nachhaltige Gesamtorientierung der Entwicklungs- oder Produktziele, führt zu einer solchen Verbesserung.
Was nützt eine Null-Fehlerproduktion von absolut sinnlosen und umweltschädlichen Produkten ? Was bedeutet da noch das Wort Qualität, wenn Produkt oder Produktionsprozess dem
Kunden und dessen Lebensumfeld mehr schaden als nützen ?
Welche Produktqualität hat ein termingerecht nach Plan erstelltes Gebäude, wenn es den Kunden krank macht ? Dieser über formale Produktmerkmale hinausgehende Inhalt des Qualitätsbegriffes wird nicht in heutigen Qualitätsstrategien gefordert, er ist es aber , den Endkunden von verantwortlichen Herstellern m.E. in einer hochkomplexen arbeitsteiligen Welt einfordern und demnächst wohl auch im Zuge einer stets erweiterten Produkthaftung einklagen werden.
Die Vermeidung von Folgekosten ist eine starke Motivation für nach haltige Produktionen , wenn die Kostenverursacher selbst belastet werden und nicht wie heute andere belasten. Das Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) prognostiziert ebenfalls, daß Unternehmen in Deutschland (und weltweit) demnächst die externen Kosten ihrer Produkte und Produktionen übernehmen müssen, was zu einer Optimierung der Produktlebenszyklen führen wird und m.E. direkt auf sinnvolle und nachhaltige Produktziele hinwirken wird.

Wir als Ingenieure müßten demnach zu Projektbeginn mit teamorientierte, kreativitätsförderenden grafischen Methoden (z.B. abgewandelte Entity Relationship-Methode oder "Clustering" nach G.L.
Rico) die vielschichtigen Beziehungen von Produkteigenschaften, ökologischen Randbedingungen und Werteorientierungen darstellen und in sinnvolle Produktziele umsetzen.
Unterbleibt dies, können die teuren Folgen einer ökologisch und wertemäßig unverträglichen
Zielsetzung später nicht mehr im Produkt revidiert werden. Es nützt nichts, perfekt den falschen Weg zu verfolgen , nach dem Satz von George Bernhard Shaw "Als sie die Orientierung verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen".

Die technische Umsetzung ist auch heute schon in die nachhaltige Richtung umsteuerbar, es fehlt die sinnvolle Anwendung unseres Know-Hows.
Wir müssen im Projektverlauf den Umständen bestmöglich angepaßte Entscheidungen treffen, ohne die sinnvolle Anfangsorientierung aus den Augen zu verlieren. Zur gemeinsamen ganzheitlichen Erfassung dieser Umstände ist ein Team partnerschaftlicher Speziali-
sten mit Sozialkompetenz und Kreativität nötig. Gemeinsam wird der rote Faden verfolgt.

Feststellbar ist aus meiner Sicht schon heute, daß einfach erklärbare , sinnvolle und nachhaltige Grundorientierungen sehr die Motivation und Kreativität der Projektbeteiligten fördern.
Finanzielle Unterstützung durch Zuschußgeber und Sympathie für das Vorhaben beim Kunden werden verstärkt.
Sinn und Nachhaltigkeit lassen sich nicht in eine Sache nachträglich hineinprüfen (durch staatliche oder firmeneigene Kontrolle) oder in Werbebroschüren nachträglich erfinden, sondern nur durch sinnvolle , nachhaltige Ziele (bzw. Qualitätsmaßstäbe) hineinkonstruieren.
Werden Sie vergessen, haben es alle Beteiligten zumSchluß manchmal schwer , einen Sinn im Ergebnis zu sehen.
Sinnvolles Handeln wirkt über die Erfahrung zurück auf das Bewußtsein , ein innerlicher wie äußerlicher Veränderungsprozeß ergänzt und verstärkt sich. In diesem Sinne ist die von Meadows
geforderte nachhaltige Entwicklung, die menschliche Reife und Weisheit miteinbringt , die "dritte große Revolution der Menschheit" für unser ökologisches und ökonomisches Überleben ,

Eine dem dritten Jahrtausend gemäße nachhaltige Wirtschaft muß schrittweise unsere an enorme Folgekosten gekoppelten Einwegsysteme ablösen, die auch alleine aus ökonomischer Sicht unhaltbar werden und deren Folgen unseren Kindern und Enkeln ihre Existenzgrundlagen zu rauben drohen.
 

Dieser Artikel wurde 1996 veröffentlicht im Deutschen Ingenieurblatt.