1. Einstimmung
1.1
Was verbinden wir mit sakralen Bauwerken heute und was verbanden die Baumeister
und Priester der Antike damit?
Wir suchen vielleicht auch heute, wie unsere
Vorfahren, das Heilige in unsren Kirchen und Kathedralen.
Heil-Sein und Ganzheit (engl. Whole/holy) gehören zusammen. Für
die Alten war Alles von Gott durchwirkt
(z.B. Pythagoras 'göttliche Weisheit offenbart
sich in allem und durch alles' ). Für uns ist heute
der sakrale Bau eher zum Nutzbau für das Anhören der Predigt und die Durchführung
(uns teilweise unverständlicher) kultischer Handlungen geworden.
Für die Alten war im Tempel der Wohnsitz Gottes. Der Kult diente in erster Linie ihm (= Gottes-Dienst). Die Opfer waren für ihn- sie wurden ihm (bzw. seinem Bild) direkt gereicht (in Form von Speise und Trank z.B. oder früher als Tieropfer). Ein Tempel war ein in Stein gefasster Ausdruck der lebendigen Beziehung zwischen Menschenwelt und Götterwelt. Der Mensch war in eine umfassendes Netz von Rhythmen und Gesetzen eingewoben, durch die Gott (oder seine Aspekte, die Götter) sich ausdrückten.
Der Mensch konnte an diese Rhythmen anklingen. Das erfahren wir auch noch heute als Eingebung, Harmonie und Schönheit, Klarheit und Frieden in einem sakralen Raum. Im Tempel fand auch die Bewußtwerdung dieser höheren Gesetze und Rhythmen statt, die sogenannte Einweihung. Es wurden Ratschlage erteilt und Wahrsagung betrieben. Es fanden auch Heilungen statt.
Wir sehen daraus, wie vielschichtig die Verbindung des Menschen mit dem alles durchwirkenden Göttlichen war. Wir haben uns heute auf wenige Empfindungen beschrankt, die z.T. durch die Musik (als rhythmischem Anklang) oder durch die Harmonie und Gestimmtheit der Tempel ausgelöst werden. Natürlich spielt auch der Kult, die Predigt und die Liturgie (mit ihren teilweise magischen, für uns heute eher unverständlichen Ritualen) eine Rolle. Auch heute erkennen wir noch, daß in unterschiedlichen Heiligtümern unterschiedlich starke Anklänge an das Göttliche sozusagen von Natur aus möglich sind. Dies gilt insbesondere für gotische Kathedralen oder auch für den Aachener Dom.
1.2
Worauf achtete man in der Antike und davor beim Bau von Tempeln und Heiligtümer
Man achtete auf den Ort, die Ausrichtung (zur Sonne), auf Maß und Harmonie des Bauwerkes.
Der Ort des Tempelbaus spielt schon in
mythischen Zeiten (ca. 3000 - 500 v.Chr. als
Anhaltswert) eine Rolle.
Zu Beginn dieser Zeiten war vermutlich der Kult
der Erd- bzw. Muttergöttin weit verbreitet. Diese wurde wahrscheinlich in
Höhlen, Grotten, heiligen Hainen, an Quellen und an heiligen Steinen
(Steinzirkeln) verehrt.
Ein Kultplatz war z.B. bei den Kelten Carnut-Is (Grotte mit dem schwarzen Stein der Muttergöttin)
auf dem heute die Kathedrale von Chartres steht
Genauso waren Menhire und Dolmen (aufgerichtete Steine und Steintische) 'Orte
der Erdkraft'. Die Wahrnehmung dieser Kräfte war seinerzeit wahrscheinlich weitverbreitet, zumindest in der Priesterschaft.
Symbole der Göttin waren u.a.
die Schlange, der schwarze Stein und die Höhle.
Heutzutage stellt man sich in der Geomantie die Erde als von tellurischen Kraftlinien umgeben vor und findet (subjektiv eher als objektiv) an Kreuzungspunkten und Verdichtungspunkten dieser Kraftlinien eine höhere Intensität der Erdkraft und bestimmte Einflüsse auf den Menschen und andere Lebewesen.
Die Wahl des Ortes war also schon in den alten Kulten der erste Schritt zum Tempelbau. Die Schwingung mußte stimmen, oft waren heilige Quellen oder gar unterirdische Quellen in Grotten vorhanden, die einen Kultplatz auszeichneten. Teilweise wurden erst in der Bauphase unterirdische Wasserlaufe angelegt, wie in Chartres oder in Santiago de Compostella, die noch im Mittelalter von diesem Bewußtsein zeugen.
Die Ausrichtung des Tempels zur Sonne kam
insbesondere in der Zeit um 1000 v.Chr. bis nach
Christi Geburt immer starker in das Bewußtsein
der Tempelbauer. Um 500. v. Chr. prägte Pythagoras das Wort vom Kosmos,
vom gesetzmäßig und harmonisch geordneten Ganzen. Er sah in der Sternenwelt
(Makrokosmos) den Spiegel der Menschenwelt (Mikrokosmos). Beide gehorchten
demselben Gesetz der Rhythmen. Man
orientierte die Tempel immer starker an der Sonne, in der man das Abbild des
göttlichen schöpferischen
Prinzips sah. Der Sonnenrhythmus und seine
besonderen Punkte waren kosmische rhythmische Fixpunkte.
Man betrachtete die Tempel als in Stein gefassten
Ausdruck der lebendigen Beziehung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos.
Der lebendige Gott war sozusagen in diese
'lebendigen' Steine eingeschrieben und wirkte direkt auf den Menschen. Der
Mensch wurde Teil dieser Beziehung und ausgerichtet (vielleicht auch
aufgerichtet, wenn die Sonne das oben, und die Erde das unten bezeichnen).
Beispiele für die Ausrichtung auf die Sonne
gibt es viele, wobei erstaunlicherweise bis ins 14. Jahrhundert dieses Wissen im
Abendland lebendig gewesen zu sein scheint:
Ramses III: ' Dieser Tempel ist wie der Himmel
in allen seinen Abmessungen'.
Stonehenge: ' Der Steinzirkel richtet die
Erdkraft (als Kreis) und die Steine beinhalten auch eine Ausrichtung als
Observatorium des Sonnenstandes'. Man könnte diesen Tempel als Vereinigung der
Erdkräfte (Steine, Ort) mit dem
Sonnenrhythmus in der jeweiligen rhythmischen Konstellation verstehen.
Der Steinkreis gab Auskunft über die
Jahreszeiten, Sonnenstände, Sonnenfinsternisse und Mondzyklen.
Auch die Pyramidenkanten sind nach Süd/Nord und West/Ost ausgerichtet', verkörpern also vermutlich beide Aspekte. Der Tempel Salomos war nach Osten gerichtet. Plutarch, ein römischer Schriftsteller, beschreibt auch die allg. Ostausrichtung der Tempel.
Das Maß und die Harmonie des Bauwerkes wurde dadurch erzeugt, daß für den
Bau ein einziges Grundmaß zugrundegelegt wurde, von
dem alle Teile als ganzzahlige Verhältnisse
abgeleitet wurden. (vgl. Vitruv als einziges erhaltenes Standardwerk der Baukunst
der Antike).
Diese Vorgehensweise wurde wahrscheinlich von
Pythagoras inspiriert, der in den ganzzahligen
Verhältnissen die Harmonie und Schönheit auf allen Ebenen entdeckte. Pythagoras
sah in der ganzen Zahl einen göttlichen Archetyp
(wie auch die Ägypter), der sich in der Natur als Urbild der Rhythmen und der
schöpferischen Kräfte finden lässt.
Zitat Frederic Lionel: 'Jeder Tempel, jedes
Heiligtum der Antike sollte das Beben der Seele im Anblick der kosmischen
Harmonie hervorrufen. Alle Verhältnisse der Langen, Breiten und Volumen können
in Zahlen ausgedrückt werden. Die Zahl wird zum Symbol der Beziehungen, die im
Rhythmus des Lebens alles mit allem eint. '
Das wurde so ausgedrückt, daß
Gott in Maß, Zahl und Gewicht schöpft. (Bibel)
Es wurde auch gesagt, Gott schöpfe als Geometer.(Pythagoras) Somit waren die heilige Geometrie und die Zahlenmmystik Pfeiler der Architektur der Tempel, die
Gottes Wirkungskraft in lebendigen Stein fassten. Dieselben Harmoniegesetze
waren im Körperbau des Menschen anzutreffen, ein göttliches Gesetz auf allen Ebenen.
Die Musik war für Pythagoras eine Ebene dieses
harmonischen Ganzen. So stellen als harmonisch empfundene Intervalle ganzzahlige Beziehungen der Schwingungsfrequenzen der
Einzeltöne dar: Oktave 1:2 (auch im Untergeschoß des Domes ablesbar), Quint
2:3, Quart 3:4 u.s.w.
In den überlieferten Versen des Pythagoras
lesen wir:
“Du wirst erkennen der unsterblichen
Götter und der Menschen Verbindung, die in allem erscheint und
alles überwindet. Ins Gleichgewicht bringend
und heilend aber wirst Du die Psyche vor Leiden bewahren. „
Offensichtlich wird der Mensch direkt von
diesem harmonischen Rhythmus , der in der Musik hörbar
und in den
Tempeln unhörbar pulsiert, harmonisiert und
geheilt.