3. Eine Führung durch den karolingischen Dom

3.1 Die Wahl des Ortes und der Ausrichtung

Wie eingangs erwähnt, steht der Dom auf dem alten Bäderbezirk der sog. Domthermen. Das ist insofern interessant, weil an Kultplätzen der Kelten für die Muttergöttin bzw. an Orten besonderer Erdstrahlung oft  auch unterirdische Quellen waren.
Der Dom ist der Maria geweiht, was auch auf die Muttergöttin hindeuten könnte. Auf dem Lotharkreuz, was später noch  gezeigt wird, findet sich eine Widder-Schlange, die häufig auf die Erdkraft hinweist.
Da heiße Quellen direkt aus dem Erdinneren kommen, ist eine kultische Verehrung noch wahrscheinlicher.
Wenn unsere Intuition uns leitet, finden wir u.U. direkt unter dem Leuchter, einen Ort hoher Intensität. Dieser Bereich ist normalerweise nur im Gottesdienst oder für Beter zugänglich.

Diese Symbolik weist vielleicht darauf hin, daß diese Zusammenhänge den Beratern und Gelehrten um Karl klar waren.
In diesem Fall war die Weihung des Doms für die Maria, die Gottesmutter, auch gleichzeitig Bezug zu dem Platz der heiligen Quellen der Erdenmutter. Man hat auch Bezüge der Widderschlange zum Keltengott Grannus aufgestellt, aber dies deutet auf dieselbe Quelle hin.

Karl richtete seinen Dom genau nach Osten aus. Er änderte hierfür die Richtung des Straßennetzes, welches noch aus Römerzeit eher nordöstlich ausgerichtet war. Auch diese Tatsache stützt die Vermutung, daß Karl an die antike Tradition anknüpfen wollte, die er von Vitruv, Plinius und über den Kalifen Harun al Raschid kannte, der Aachen auch die Heiligtümer schenkte, was auf einen spirituellen Austausch der Herrscher hindeutet.

Wir sollten deshalb die bewußte Ausrichtung auf die Sonne in Anknüpfung an die Antike unterstellen.
Wir können das Motiv von Christus als dem Sonnensohn und Kaiser Karl als seinem Priesterkönig auch aus der Darstellung der Sonne im Lotharkreuz und am Abendmahlstisch der Altarplatten deuten.
Karls vermutlicher Wunsch nach einer Wiederaufrichtung der göttlichen Ordnung und Harmonie mag auch uns heute noch in der Klarheit, Geborgenheit und Harmonie des Doms ansprechen.
Vergessen wir nicht, daß die Harmoniegesetze, wenn richtig angewendet, heilend und bewußtmachend wirken.
Das würde auch erklären, warum er sich das göttliche Jerusalem, die christliche Vision der vollendeten, göttlichen Stadt, in der Gott und heiliger Mensch gemeinsam wohnen, zum Motto des Aachener Doms wählte.
 

3.2 Das Bauwerk und seine Architektur

Sehr viele interessante Anregungen gibt ein Buch des Fotografen Weisweiler zum Dom.

Der Grundriß: Es wurden eingangs die Zahlenmystik und die heilige Geometrie der Antike erwähnt, auf die Vitruv klar hinweist.

Frederic Lionel meint dazu: "Ein Tempel ist ein Bauwerk, welches durch seine Dimensionen und in seiner Orientierung die versteckte Beziehung zwischen Erde und Kosmos offenbart." Lionel übermittelte in vielen seiner Bücher die Weisheitslehren der Antike, insbesondere auch die des Pythagoras. Aus dieser Sicht soll nun eine Interpretation der Symbolik der Zahlen und der Grundrisse erfolgen.

Der Punkt:
Er stellt das unoffenbarte göttliche Prinzip dar, das Ureine, aus dem alles entspringt. Er kann nur in der Weglassung auf der materiellen Ebene dargestellt werden, z.B. durch die (fehlende) Pyramidenspitze der Cheopspyramide- das entspricht der Pyramidenspitze auf dem Oktogon (die bald nach Fertigstellung herunterfiel- um als Weltkugel höchstwahrscheinlich im Leuchter Anwendung zu finden).

Das Dreieck:
Erhebe Dich, um (das scheinbar gegensätzliche) zu verstehen (als Symbol transzendentaler Weisheit). Es tritt bei der Pyramidenform der ursprünglichen Spitzpyramide auf dem Aachener Dom auf (die allerdings einstürzte).

Das Achteck:
Es verteilt symbolisch den Samen des von oben gesäten in die 4 Himmelsrichtungen, um das göttliche Wort in der Welt aufkeimen zu lassen - und symbolisiert auch das kosmische Gleichgewicht (und auch als liegende Acht die Lemniskate). Der Zahl 8 wurde symbolisch die Waage in den ägyptisch Hieroglyphen zugeordnet. Es tritt auf als Grundriß des mohamedanische Felsendoms in Jerusalem um 760 n. Chr. und später, um 1130 ,  als Grundriß der Kapellen der Templer in Ihren Komtureien.

Die Verhältnisse und Beziehungen im Dom:
Das Aachener Oktogon sollte ein Abbild des himmlischen  Jerusalem (Johannesoffenbarung) sein.
Es war deshalb wichtig für Karl, die dort genannten symbolischen Zahlen einzubeziehen in sein Konzept des Oktogons (vgl. Bibel, Johannesoffenbarung, V21,16ff).
Der Umfang des Oktogons (Säulenmitte) beträgt ca. 144 karolingische Fuß (1 Fuß= 0.333 m). Der Außenabstand des Sechzehnecks, also Länge und Breite des Bauwerks, betragen 100 Fuß. Die Kuppelhöhe (Spitzkegel) beträgt ebenso 100 Fuß.
Symbolisch ist damit vielleicht folgendes gemeint:

Damit sind die heiligen Zahlen und ihre Proportionen eingeschrieben in den Bau. Das göttliche Jerusalem, als
Ebenmaß der Vollkommenheit schon sprichwörtlich, wird zum Grundmaß des Domes.

Diese Verhältnisse tragen offensichtlich sehr zur Harmonie des Gesamteindruckes bei. Harmonie heilt und Vollkommenheit wirkt als lebendiger Rhythmus auf den Menschen, dessen Maß sie ist (Johannes:" .. nicht nur Engelsmaß , sondern auch Menschenmaß").
Die Kuppel war drei Jahrhunderte lang die höchste nördlich der Alpen. Es sollte dabei  erwähnt werden, daß eine Kuppel über einer (tellurischen) Quelle deren Wirkung wie ein Resonanzraum verstärken soll, sagt man.

Der Bau des Doms vollzog sich in den Jahren ab 765 (Planungsbeginn evt.. 765, Rohbau 798, Gebrauch 800, Weihe 805, Grabkirche Karls 814) bis 800.

Man hatte von Vitruv die genaue Anleitung zur Einbeziehung des symbolisch so wichtigen Sonnenrhythmus in das Bauwerk abgeleitet. Vitruv zeigt  wie man auf jedem Punkt der Erde anhand des Sonnenschattens den Sonneneinfall für das ganze Jahr voraussehen kann. Die geometrische Darstellung dieser Beziehung ist das sog. Analemma, was aber in seinem Aufbau hier nicht genauer erklärt werden soll. (vgl. Vitruv-Analemma)
Vier Daten bestimmen das Sonnenjahr :(WSW- WinterSonnenWende,SSW-Sommer-Sonnen-Wende,T&NGL-TagundNachtGleiche). Sie sind auch die Fixpunkte des Sonnenrhythmus, die im Aachener Dom umgesetzt wurden.

Vermutlich ging man an der Baustelle so vor:
Man bestimmte die genaue Ostrichtung mittels einer Säule bei Sonnenaufgang zur Tag-und Nachtgleichen
und konstruierte das Analemma nach Vitruv bei Sonnenhöchststand dieses Tages.
(Die Versuche dazu mögen sich über mehrere Jahre erstreckt haben.)
Vitruv beschreibt jeden Einzelschritt des Vorgehens.
Das Zentrum des Heiligtums wurde mit einem Pflock markiert und ein Kreis von 144 karolingischen Fuß
Umfang darum geschlagen. Daraufhin konstruierte man direkt am Boden mit Seil und Pflock das Achteck und das Sechzehneck aus diesem Kreis. Man griff aus dem Analemma die Höhenmaße für die Fensterreihe und für die Bögen ab und übertrug sie maßstäblich mit dem Seil auf den Bau.

Sicher scheint, daß dem Bau das Analemma zugrunde lag. Hierdurch konnte Karl alle Maße und Beziehungen des Doms harmonisch an den Sonnenstand an diesem Ort, in Aachen, anpassen.
Besonders erwähnenswert scheint mir, daß die Fenster nach oben dicker werden, damit von unten der optische Eindruck der Parallelität entsteht. Genauso ist die später hinzugefügte 23 m lange Kette nach oben verdickt, so daß sie parallel wirkt.
Dies hat m.E. nur dem Zweck einer besseren Ablesung des Sonnenstrahls gedient, wie ich selbst mehrfach an den Tagen der o.g. Fixpunkte des Sonnenzyklus feststellen konnte.

Fixpunkte im Dom
Das Analemma wurde von der Ebene in den Raum übertragen; durch den großen Sonnenuhrzeiger der oberen Fensterunterkante (Gnomon) bekam man eine gute Ablesegenauigkeit.

3.3 Auswahl einzelner herausragender Kunstwerke im Dom und ihre Symbolik

Lionel schreibt (über Pyramiden): "Alles fügt sich ineinander, denn der kosmische Plan findet seinen Ausdruck überall. Er verbindet den Makrokosmos mit dem Mikrokosmos, die Welt des unendlich Großen mit der Welt des unendlich kleinen, und eine jede Parzelle spiegelt das Ganze dieses Planes wieder."

Wir können die Gesamtsymbolik des heiligen Jerusalem mindestens dreimal nachvollzogen sehen -
um 800 im Dombauwerk, um 1000 im gespendeten Lotharkreuz und um 1165 im gespendeten Leuchter von Barbarossa.
Insgesamt stellt der Dom einen Aufbruch und eine Renaissance, also Wiedergeburt, des (antiken) europäischen Menschen dar. Er veränderte sicherlich nachhaltig das Bewußtsein der Menschen, die im harmonisch gestimmten Heiligtum am Gottesdienst teilnahmen. Das ist heute fast noch genauso.
Der Dom vibriert in seiner Schwingung der 'lebendigen Steine' (wie im Weihespruch bemerkt wird).
Karl hatte seinem europäischen Reich ein geistiges Zentrum verliehen, welches direkt an den Geist der
Antike anschloß und diesen neu auslegte. Im Detail waren sämtliche Teile, so weit sie uns heute noch bekannt sind, diesem Konzept zugeordnet.

Der Dreistrahl ist bei hohem Sonnenstand und direkter Einstrahlung sehr gut sichtbar. Das Licht fällt dabei durch das Achteck der obersten Fensterreihe in drei Strahlen gleichzeitig. Aus Ostrichtung durch den Bau der gotischen Halle (gebaut im 12. Jahrhundert) dieses Phänomen nicht mehr sichtbar und aus Westrichtung stehen jetzt der erhöhte Westbau und die umgebenden Häuser im Strahlengang.

Nur noch bei direkter Einstrahlung aus Südrichtung (z.B. SSW) wird dieses Phänomen heute ermöglicht. Im klassischen christlichen Sinn symbolisiert der Dreistrahl aus derselben (Sonnen-) Quelle Vater, Sohn und heiliger Geist. Er ist auch auf den Goldplatten des Altars abgebildet.

Die 8 Bronzegitter aus dem 8 Jahrundert. sind ohne Beispiel bis ins 10. Jahrhundert  und in Aachen neben dem Dom gegossen worden. Der Lichtdurchgang zeichnet hier nur einen Schattenriß mit 90 Grad-Winkeln  bei Sonnenhöchststand der Tag.u.Nachtgleiche (39 grd Einfallswinkel) (vgl. Fotos Weisweiler).
Die West/Ost - Linie beim Betreten des Doms wird eröffnet vom gegossenen Bronzetor aus (auch das war unübertroffen für 2 Jahrhunderte). Auf den Türflügeln sind links u. rechts je 23 Akantusblätter zu sehen - sie symbolisieren die Abweichung der Sonnenaufgangspunkte zu SSW und WSW vom Punkt des Sonnenaufganges am Tag der T&N-Gleichen (nämlich 23 Grad), insbesondere beim Aufklappen der Flügel. Es sind die technischen und  astronomische Kenntnisse der Erbauer, die sich u.a. darin zeigen.

Der Hauptaltar aus karolingischen Platten enthält in der Abendmahlszene auch die Symbole von Sonne und Mond in Beziehung zum Dom.

Der Leuchter aus dem 12. Jahrhundert nimmt das Thema göttliches Jerusalem wieder auf - und man war sich der Dimension des Themas also noch bewußt ! Die 23 m lange Kette mit perspektivische. Verdickung kann als Peilstab sehr gut genutzt werden, um bei WSW und SSW (Winter- und Sommer- Sonnenwende) den Strahlenfall des mittleren Dreistrahls auf die goldene Welt - Kugel zu beobachten. Der Leuchter hat 8 Kreissegmente und 16 Türme. Er wurde gebaut um 1165 (5 Jahre nach Besuch des Bernhard v. Clairvaux in Aachen) und geschenkt von Friedrich I Barbarossa.

Einschub Januar 2006: Leider wurde bei der Renovierung und Neubefestigung des Barbarossaleuchters der Haltepunkt im Jahre 2004/2005 wegen eines neu eingezogenen Querträgers um ca. 20 cm gegenüber dem historischen Aufhängepunkt nach oben verschoben, wie der jetzige Dombaumeister H. M. in einem Gespräch mitteilte. Damit ist möglicherweise auch diese Symbolik der SSW und der Weltkugel nicht mehr so beobachtbar wie vor der Renovierung des Leuchters.

Das Lotharkreuz aus dem 10. Jahrhundert, ein Goldkreuz mit Edelsteinen in der Schatzkammer. enthält144 Edelsteine (vgl. Weisweiler). Es symbolisiert wohl das Maßrohr der beiden Maße (des Engels und des Menschen) und bildet u.U. eine ganze Anzahl von Detailbeziehungen erneut ab. Auch Augustus wird an zentraler Stelle dargestellt und damit der Anspruch auf das neue Rom und auf die Sonnenzivilisation.
Die dargestellte Widderschlange symbolisiert vielleicht die Erdkraft des Ortes oder den Grannus.

Auch die 4 großen Heiligtümer des Doms sind symbolisch den wesentlichen Sonnenständen zugeordnet (Weisweiler). Diese sind Enthauptungstuch Johannes des Täufers (24.6), Windeln Christi (24.12), Kleid Mariens  und Christi Lendentuch (Ostern).