"Sinnvoll leben und entscheiden"

Wer möchte das nicht - sinnvoll leben und entscheiden ? Doch was ist das überhaupt, Sinn ? Gibt es überhaupt so etwas wie Sinn und wenn ja, was bedeutet er für mein Leben ?
Wenn wir den etymologischen Duden zur Hand nehmen und bei "Sinn" nachschlagen, erfahren wir, daß der Wortstamm von Sinn "Gang, Reise, Weg" ist. Es gehört allerdings ebenso zu dieser Bedeutung "eine Richtung nehmen, eine Fährte suchen". Weiterhin meint das Wort auch noch "Gefühl, Wahrnehmung", was ja in unseren Worten "Gehörsinn, Sinnlichkeit oder Wahnsinn" mit zum Ausdruck kommt.
Wir stellen also erstaunt fest, daß sich im Wort "Sinn" der einzuschlagende Weg mit der inneren Richtungswahrnehmung und die richtige Richtung mit dem richtigen Gefühl verbinden.
Vielleicht wundert es uns dann nicht mehr, daß Sinn-Fragen, die ja oft Grundfragen menschlicher Existenz sind, auch immer praktische Orientierung für den eigenen Lebensweg geben wollen. Diese Frage nach dem "Woher, Wozu und Wohin" meiner Existenz weist immer auch auf meinen Lebensweg, auf seine Richtung und auf meine Entscheidungen an seinen Weggabelungen.
In der Tat können wir am Beispiel unseres Lebensweges grundsätzliches über sinnvolle Entscheidungen lernen und am Beispiel verdeutlichen.
Lassen Sie uns für einen Augenblick unterstellen, wir würden ins Leben treten mit einer Lebensaufgabe. Das frühe Christentum und damit auch die abendländische Geistestradition unterstellten am Lebensbeginn die Verkörperung einer Seele, deren spezielle Prägungen und Aufgaben man in der Antike über die zum Geburts- oder Empfängniszeitpunkt herrschende Sternenkonstellationen (Geburtshoroskope) feststellen wollte. Unsere materialistische Wissenschaft erkennt heute nur noch genetische Anfangskonstellationen unseres Lebensbeginns an, ohne allerdings eine Verbindung zu einer Lebensaufgabe ziehen zu können. Wenn allerdings die Seele sich einen Körper nach einem ihr innewohnenden Bauplan aus den verfügbaren Genen erbaut, wäre eine solche (auch körperliche) Verbindung zur Lebensaufgabe vorhanden.
Für die moderne Psychologie formulierte Carl Gustav Jung allerdings wieder eine Brücke zwischen dem materialistischen und dem seelischen Ufer, indem er tief ins uns vorgeprägte, nicht materielle, kollektive seelische Archetypen in Ihrer Wirksamkeit erkannte. C.G. Jung zeigte ebenso seelische Vorprägungen auf, die nicht aus der aktuellen Lebenserfahrung des betrachteten Menschen stammen, sondern auf ältere seelische Erfahrungen hinweisen.
Wir beginnen also unser Leben mit einer Anfangsorientierung (oder Lebensaufgabe),
die dann mit bestimmten familiären, gesellschaftlichen und ökologische Randbedingungen zusammen kommt.
"Der Plan, nach dem wir angetreten", nennt Goethe diese Anfangsorientierung.

Wenn wir über Sinn reden, müssen wir notwendig soweit ausholen, um die Gesamtorientierung unseres Lebens, den Lebenssinn, erkennen zu können.
Unser Lebensweg läßt sich dann als eine "Entwicklung" begreifen. Der Wortsinn von Entwicklung ist "sich entfalten", "sich herausbilden"- also die Ent-wicklung wickelt etwas Vorhandenes, aber u.U. verdecktes (in der Zeit) ab. Bei der Filmentwicklung sehen wir das noch, indem das unsichtbar vorhandene nach der Entwicklung sichtbar vor uns liegt. Wenn also unser Lebensweg seiner Lebensaufgabe gerecht werden soll,
muß doch versucht werden, das im Anfang als Lebensaufgabe unerkannt enthaltene auf dem Lebensweg zu ent-wickeln.
Unser Lebensweg entwickelt sich dann als Kette von zeitgebundenen Entscheidungen. Diese Entscheidungen sind um so besser oder sinnvoller, je klarer wir unsere Anfangsorientierung (Lebensaufgabe) und die wirksamen momentanen Umstände auf allen Ebenen (seelisch, geistig, materiell) wahrnehmen und entsprechend unseren Stärken und Schwächen mit einbeziehen können.
Wenn wir diese Anfangsorientierung als Hintergrund unserer Entscheidungen fühlen oder wahrnehmen könnten, würde sich uns also die sinnvolle Orientierung erschließen - eine sinnvolle Entwicklung wäre mit dem Blick darauf möglich.
Die Sinnerfüllung unseres Lebensweges, unserer Entwicklung, ist demnach so gut, wie die Kette der jeweiligen Entscheidungen und Handlungen ist.
Das sinnvolle Leben, der sinnvolle Weg des Lebens, bedeutet demnach ein ständiges in der Gegenwart bestmöglich Entscheiden. Die Erfüllung unserer Lebensaufgabe ist
demnach kein statisches oder zum Schluß zufällig aufgesetztes Ende, sondern Ergebnis unseres Lebensweges, unserer Entwicklung, und nur so gut, wie die Kette der jeweiligen Entscheidungen und Handlungen war, nach bestem Wissen und Gewissen. Der Lebens-Sinn beschreibt von der Wortbedeutung her also nichts anderes als einen solchen (sinnvoll gelebten) Lebens-Weg.
DIE KUNST DES LEBENS besteht demnach für uns darin, jeden Augenblick die gesamtheitlich sinnvollen und damit richtigen Entscheidungen zu treffen, die den Umständen dieses Augenblickes bestmöglich angepaßt sind und die Zukunft sich dann entfalten zu lassen.
Wenn wir weiter und genauer über die materielle Raum-Zeit-Dimension des Kosmos nachdenken, so verstehen wir, daß alle materiellen Gebilde Ent-wicklungen in der Zeit sind, d.h. sie ent-wickeln etwas im Kern vorhandenes, oder "rollen das Wort ab", wie Frédéric Lionel sagt. Alle unsere Handlungen und Taten sind in diesem Sinne Teil von Ent-wicklungen, die unser Leben, das Leben vieler anderer und zum Schluß den Kosmos insgesamt betreffen. Auch der Kosmos, das Ganze und als Teil davon wir ist eingewoben in einen ganzheitlichen Sinn seiner Ent-wicklung.
Diese ganz persönliche Sinn-Erkenntnis beschreibt der Astronaut Edgar Mitchell so:
"Als Techniker fuhren wir zum Mond, als von Zuneigung für alles Humane erfüllte Menschen kehrten wir zurück". "Wo vorher intellektuelle Suche gewesen war, regte sich plötzlich ein tiefes Gefühl in mir, etwas sei ganz anders geworden. Dieses Gefühl ist aus dem Blick auf die Erde erwachsen, von der wir wissen, daß sie ihre Bahn um die Sonne zieht. Er erwuchs aus dem Anblick der Sonne vor dem samtig tiefschwarzen Kosmos, der nicht nur ahnen läßt, sondern Gewißheit vermittelt, daß im Strom von Energie, Zeit und Raum im Weltall etwas sinnvolles liegt."

Eine Ahnung von diesem überwältigenden Eindruck kann uns unser Gefühl beim Betrachten des Sternenhimmels in einer klaren Nacht vermitteln, das ein direktes
Bewußtwerden, eine ganzheitliche Sinnerkenntnis, ähnlich der dieses Astronauten bewirken kann.
Sinnerkenntnis und daraus folgende sinnvolle Entscheidung haben scheinbar oft eine intensivierte innere Wahrnehmung zur Voraussetzung, über die wir jetzt nachdenken wollen. Eine solche Wahrnehmung erfordert eine gewisse innere Offenheit, ob man sie als Gewissenserforschung oder Selbsterkenntnis bezeichnet. Fehlt dieser innere Sinn, werden die Entscheidungen oft widersprüchlich, unausgegoren und sinnlos.
Die Folgen solcher falschen Entscheidungen sind Leiden und Unzufriedenheit.
Eine solche fließende, im Augenblick gegründete Haltung nennt man in der spirituellen Tradition des Abendlandes "den zielfreien Weg" gehen. Dieser zielfreie Weg erfordert Konzentration in jedem Augenblick und vorurteilsfreie Wahrnehmung dessen, was richtig ist in diesem Augenblick. Zielfreiheit ist maximale Flexibiltät. Loslassen der Ideologien und festen Vorstellungen, nicht meinen, es müßte so oder so sein.
Das Getöse der Ziele überdeckt normalerweise die innere Wahrnehmung der Wahrheit eines jeden Augenblickes und verhindert, dieser Wahrheit zu folgen.
Zum tieferen Verständnis der bei einer Sinnerkenntnis ablaufenden Vorgänge im Gehirn sollten wir uns bewußt machen, daß die Welt in unserem Bewußtsein stattfindet und im Gehirn abgebildet wird. Das Gehirn ist ein Netzwerk aus Neuronen (Nervenzellen), in dem die Verknüpfung unserer Wissensteile ganz praktisch materiell durch Nerven-verbindungen geschieht. Bei unseren Wahrnehmungen und Gedanken entstehen im Gehirn meßbare räumliche Schwingungen, die diesem Gedanken oder Gefühl entsprechen, wie der Klang einer großen Anzahl schwingender Saiten die Musik ergibt. Diese Musik hängt sozusagen vom Umfang der beteiligten Verbindungen und Gehirnbereiche ab.

Wir können uns Bewußtwerdung eines sinnvollen Zusammenhanges vorstellen wie das Aufsteigen eines Gebildes oder eines Zusammenhanges aus dem ruhigen Spiegel eines Sees in der Morgendämmerung. Aus dieser zielfreien Bewußtseinslage knüpft sich der ganzheitliche Einfall, der Qualität und Harmonie ausdrückt.
Wie wir sagten, ist Bewußtwerdung auf der materiellen Ebene im Gehirn ein Resonazphänomen, eine Schwingung. Sinn kann in diesem Zusammenhang als die Erkenntnis der Quintessenz dieser Schwingung verstanden werden.

Warum knüpft unser Gehirn als großes Neuronennetzwerk eigentlich ständig Verbindungen zwischen vorher unzusammenhängenden Fakten ? Sollte sich darin nicht ebenfalls der kosmische Entwicklungsgedanke ausdrücken, den zu verstehen wir ja vielleicht angetreten sind ?

Besonders wichtig ist für eine Sinnerkenntnis das Leerwerden, das nicht-rationale Aufsteigen des verbindenden Zusammenhanges aus dem See sozusagen. Dieses Leerwerden und Entstehen kann nur gelingen, wenn eine Verbindung der linken rationalen Gehirnhälfte mit der eher ganzheitlich orientierten, rechten Gehirnhälfte, stattfindet.
Beispiele solcher intuitiver Sinnerkenntnis gibt es viele, auch von Wissenschaftlern.
Darwin schreibt: "Ich kann mich sogar an die Stelle auf der Straße erinnern, wo mir zu meiner Freude plötzlich die Lösung erschien, während ich in der Kutsche saß".
Der kreative Mensch ist sicher, wenn er die richtige Eingebung oder Intuition wahr-nahm. Er muß sie praktisch dann (der Welt) noch mundgerecht machen, sie ausfeilen.
Einstein schreibt: "Die Worte oder die Sprache in geschriebener oder gesprochener Form scheint für meinen Denkmechanismus keine Rolle zu spielen. Die psychischen Entitäten,..sind bestimmte Zeichen und mehr oder weniger klare Bilder".
Heisenberg schreibt :" Da erscheint auf einmal vor unserem geistigen Auge ein Zusammenhang, der auch ohne uns und schon immer dagewesen ist und ganz offensichtlich nicht von Menschen gemacht ist. Solche Zusammenhänge sind doch wohl der eigentliche Inhalt unserer Wissenschaft".

Man kann auf dieser Basis mit einer sehr einfachen Methode die subjektiv in uns geknüpften Zusammenhänge (grafisch) darzustellen und aus einer spontanen inneren Sinn-Erkenntnis jedes einzelnen dann die Quintessenz dieser Zusammenhänge formulieren. Damit läßt sich die Sinnerkenntnis bewußt machen und ein Beitrag zur ganzheitlich sinnvollen Entscheidungsfindung leisten.
 

Dieser Beitrag erschien 1999 im forum des Albert Schweitzer Hauses, Bonn.