Der große Ton

 

Schweißgebadet wachte er auf.

 

Er floh aus einem dunklen, scheinbar unendlichen Raum, grenzenlos nach oben, nach unten und zu allen Seiten. Die Dunkelheit war warm und samtig aber ungeheuer tief.   

In diesem Raum hatte er zunächst leise, dann immer lauter, ein tiefes Summen gehört, das sich zum dunklen Dröhnen verdichtete. Angewachsen, umfassend, vollständig, füllte es den ganzen Raum, dann jede Faser alles Existierenden.                     Der Raum selber war Klang, dröhnender Klang in der Stille, wortlos, ohne Filter, ohne Nettigkeit.                                                  Danach explodierte in ihm die Angst.

Nachdem er sich aus dem Bett aufgerichtet hatte, wankte er zum Bad. Immer noch schwang der Atem des Rhythmus in ihm nach – existenziell, Sinn ohne Fassade, Wahrnehmung ohne Zwischenraum.

„Gott spricht“, zuckte ein Gedanke auf. Doch was war das?

Nachdem sich sein vor Nässe glänzendes Gesicht im Handtuch vergraben hatte, kam die Angst zurück. Was, wenn er gleich beim Einschlafen wieder diesen Ton hören würde? Was, wenn er wieder dieser Anrufung ausgesetzt würde, die so fraglos und selbstverständlich wahr war. Was sollte er tun, in diesem Raum, in dieser Schwärze, wenn die Angst ihn überflutete?

„Wenn Gott spricht, höre zu“, hatte der Pastor gestern über Samuels Anrufung gesagt. Aber wie war das gemeint?

Was sagt Gott? „Wenn Gott in allem durch alles hindurchspricht…“. Der Gedanke entglitt ihm. „… in die Stille hinein? Was schweigt da schwingt da in der gefüllten Leere des inneren Raumes?“

 Was ist der große Ton in der Stille?

Er hatte noch nicht gelernt zuzuhören.

 

 

Copyright Günter Stock 2006